Antifa

Solidaritätskundgebung an der JVA-Hammerweg

6. Mai 2024 - 18:08 Uhr

Free Maja steht auf einem Transparent an einer Brücke in Dresden

Zum wiederholten Male fanden sich am 24. April 2024 etwa 25 Menschen bei einer Kundgebung von Ermittlungsausschuss und Anarchist Black Cross Dresden an der Dresdner Justizvollzugsanstalt ein. Dort sitzt derzeit der:die Antifaschist:in Maja in Untersuchungshaft und wartet über den Entscheid des Kammergericht Berlins zu einer Auslieferung nach Ungarn. Die Demonstrant:innen kritisierten den Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit dem Fall. 

Politisch motivierte Strafverfolgung? 

Maja ist bereits seit Dezember 2023 wegen des Vorwurfs der Beteilligung an einer kriminellen Vereinigung und schwerer Körperverletzung in Dresden inhaftiert. Grundlage dafür ist ein Europäischer Haftbefehl. Über die Auslieferung muss ein deutsches Gericht entscheiden. Üblicherweise ist dies innerhalb der Europäischen Union keine größere Angelegenheit. Doch der Antrag auf Auslieferung kommt aus Ungarn, das sich in den letzten Jahren zu einer rechten Autokratie entwickelt hat. Das Verfahren dort wurde genutzt um massiv gegen Antifaschist:innen zu hetzen und politische Gegner:innen einzuschüchtern. Auch die Haftbedingungen zweier inhaftierter Antifaschist:innen sind Berichten zu Folgen miserabel.

Das hat vor kurzem ein italienisches Gericht zum Anlass genommen, den Antifaschisten Gabriele – Beschuldigter im selben Fall – nicht auszuliefern und auf freien Fuß zu setzen. Die Haftbedingungen vor Ort ließen eine Auslieferung nicht zu; ob anschließend ein rechtsstaatliches Verfahren stattfinden könne, sei unsicher, urteilte das zuständige Gericht. Entsprechend wird das Verfahren nun in Italien geführt.

Das Anarchistische Radio Dresden hat einen Mitschnitt der Kundgebung veröffentlicht.

Die Generalbundesanwaltschaft in der BRD, die das Verfahren an sich gezogen hat, steht einer Auslieferung hingegen positiv gegenüber. In einer Mitteilung an die Berliner Staatsanwaltschaft heißt es laut einem Schreiben aus dem Unterstützer:innenumfeld, die Auslieferung sei gegenüber einem Verfahren in der BRD zu bevorzugen. Außerdem erhob die Behörde den Tatvorwurf des versuchten Mordes gegen mehrere in dem Verfahren noch gesuchte Personen. Der Bundesgerichtshof kassierte diesen Vorwurf jedoch kurz darauf. 

Die Demonstration an der JVA kritisierte diese Eskalation der Strafverfolgung als politisch motiviert. Das gesamte Verfahren werde überzogen geführt, ganz so, wie auch schon das Antifa Ost Verfahren am Oberlandesgericht in Dresden. Die Dimension der Vorwürfe werde künstlich aufgebauscht, um Druck auf Antifaschist:innen auszuüben, sie einzuschüchtern und ihre politische Arbeit zu diskreditieren. 

Im Antifa Ost Verfahren war an fast 100 Verhandlungstagen gegen vier Antifaschist:innen aus Leipzig und Berlin verhandelt worden. Eine Solidaritätsdemonstration nach dem Ende des Verfahrens war durch die Polizei verboten und anschließend mit massiver Gewalt zerschlagen worden. 

Drohkulisse Ungarn

Die Eltern mehrerer beschuldigter Personen hatten immer wieder öffentlich eine Rückkehrmöglichkeit für ihre Kinder gefordert. Wie auch Maja bis Dezember 2023 haben sich die Beschuldigten bisher nicht der Polizei gestellt. Während die Eltern aber mit der berechtigten Angst vor einem Strafverfahren in Ungarn argumentieren, dass ihre Kinder sich in der derzeitigen Situation nicht stellen könnten, sehen die Behörden darin einen Grund für größere Härte bei der Strafverfolgung. In verschiedenen Medien wurde von den Behörden immer wieder eine drohende Terrorgefahr herbei geredet. Nun hat anscheinend der Verfassungsschutz ein zweifelhaftes Angebot gemacht: umfassende Aussagen im Verfahren im Tausch gegen einen Verbleib in der BRD. Der Verfassungsschutz nutzt das Drohszenario, um Geständnisse zu erpressen – ein mindestens zweifelhafter Schachzug in einem Rechtstaat.

Neben den allgemeinen Haftbedingungen, der langen Hafterwartung von bis zu 24 Jahren und der Hetze gegen Antifaschist:innen in Ungarn kommt für den:die Beschuldigte Maja erschwerend hinzu, dass in Ungarn die Rechte der queeren Community im Zuge des Rechtsrucks massiv eingeschränkt wurden. Im Jahr 2010 wurden gleichgeschlechtliche Ehen verboten. Seit 2021 ist es öffentlich verboten, andere Formen der Sexualität als heterosexuelle „darzustellen“ oder über sie aufzuklären. Die Darstellung von Queers in Büchern für Jugendliche ist strikt verboten; zählt als Propaganda. Die EU hat zuletzt 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den Staat eingeleit, weil diese Gesetzgebung gegen verschiedene EU-Gesetze verstößt. Die ungarische NGO ‚Háttér Societybescheinigte dem Gesetz einen zerstörerischen Einfluss auf Buchläden, Medienhäuser und Zeitungen, die sich großteilig selbst zensierten, um Strafverfolgung zu umgehen. Im Dokumentationsformat Twist von arte kommt der Dichter und Musiker Mátyás Dunajcsik zu Wort und beschreibt die Situation im Land: „Wenn man die Frage der Kunst- oder Meinungsfreiheit nimmt, dann ist es so, dass niemand im Gefängnis sitzt oder Bücher auf einer verbotenen Liste stehen. Man kann theoretisch alles veröffentlichen. Aber es ist praktisch so gestaltet, dass es keinen Sinn macht.“ Und an anderer Stelle: „Es wird selten agressiv oder blutig, aber es frisst deine Seele auf, ganz langsam.“ 

All das müsse berücksichtigt werden, wenn nun über eine Auslieferung nach Ungarn verhandelt werde, so ein Redner auf der Kundgebung an der JVA. Es sei ein Hohn vom ungarischen Staat überhaupt Garantien einzuholen, die seien das Papier auf dem sie geschrieben würden nicht wert. Es ist schon die fünfte Kundgebung in diesem Jahr an der JVA gewesen. Der Ermittlungsausschuss und das ABC sagen, sie wollen so lange wiederkommen, wie Maja inhaftiert sei und für die Freilassung und den Verbleib in der BRD kämpfen.

Währenddessen läuft in Ungarn der Prozess gegen zwei angebliche Mittäter:innen: Tobias und Ilaria. Am ersten Prozesstag wurden beide mit Hand- und Fußfesseln in den Gerichtssaal verbracht. Ilaria hatte zuvor in einem 27-seitigen Brief auf ihre Haftsituation aufmerksam gemacht und einen Proteststurm in Italien ausgelöst. Tobias hat bisher noch nichts dergleichen veröffentlicht. Allerdings legte er schon am ersten Verhandlungstag ein Geständnis ab. Er habe sich in einer kriminellen Vereinigung betätigt. Das Gericht hat ihn daraufhin zu drei Jahren Freiheitsstrafe mit anschließender Verbannung aus Ungarn verurteilt. Hingegen interessiert sich in der BRD bisher keine staatliche Institution für den Geständigen. Am ersten Prozesstag waren laut einer Quelle von addn.me noch nicht einmal deutsche Pressevertreter:innen akreditiert. 



Veröffentlicht am 6. Mai 2024 um 18:08 Uhr von Redaktion in Antifa

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